Hundehaare

Erzählung, von Thomas Friedrich (2009)

# Hundehaare

von Thomas Friedrich

 

 

Im Wasser schwimmen Hundehaare. Auf der Oberfläche, wie lustloses Gekritzel. Die Gießkanne aus Metall fasst zehn Liter, steht daneben, vielleicht passt mehr rein. Durch den Sturm sind die provisorischen Wasserleitungen defekt. Mit der Gießkanne bringe ich den Pferden Wasser. Drei Gänge, einmal hin, zurück, noch einmal hin, zurück, ein letztes mal, dann ist die Tränke für die Viecher randvoll.   
Schlapp, schlapp.  
Schlapp.  
Wenn sie ihre langen Schnauzen in die Tränke stecken, schwappt erst etwas Wasser über den Rand bevor sie trinken.   
Verlorenes Wasser. 

Der Bottich mit Regenwasser ist randvoll. 50 Liter in einer Nacht. Die Gießkanne daneben auch, randvoll in einer Nacht. Auf der Wasseroberfläche schwimmen Hundehaare.  
Hundehaare von Hundeschnauzen.  
Um die Ecke steht ein zweiter Bottich, 60 Liter, dreckig. Ich mach ihn sauber, stelle ihn neben die Gießkanne. Nach einer Nacht schwimmen auf der Oberfläche Hundehaare. Er ist randvoll.

Zweimal am Tag bekommen die Pferde Wasser. Zweimal drei Gänge. Auf dem Wasser der Pferde schwimmen Hundehaare.   
Es regnet.  
Die Luft nässt, ist kalt klar wie Trinkwasser.  
Meine Lunge verschluckt sich.  
Meine Kehle atmet durch.  
Jeder Tag besteht aus Wasser, zerteilt in kleine Tropfen, sorgsam dosiert. Ich gönne mir keine Gedanken. Die Nebenwirkungen wirken auch so. Ich vertraue der Einsamkeit die mich auf meinem Plateau umgibt. Eine Einsamkeit, die ich jetzt zu schätzen weiß, obwohl mir auch ihre Gefahren bewusst sind.   
Man verfällt so leicht,  
ins Grübeln,  
ins Trauern,  
ins Selbstmitleid. Es helfen nur die Aufgaben, die sich stellen, täglich. Der Regen ist ein Dauergast und mein Haus, mein Grund sind nicht darauf vorbereitet. Der Garten zerfließt, das Haus schwemmt auf. Die Feuchtigkeit treibt sich herum wie ein penibler Schnüffler. Es wird nicht lange dauern und sie hat jeden Stein umgedreht, jedes Versteck ausgehoben und jedes Geheimnis klar aus dem Gedankenfluss gewaschen. Kleine schimmernde Nuggets. Erinnerungen sind wie Gold, verfluchtes Gold.   
Ich versuche, mich meinen Aufgaben zu stellen. Versuche jede nacheinander anzugehen. Versuche gegen die Wogen anzukämpfen, das Feuerholz trocken zu halten, die Tiere am leben.   
Eins nach dem anderen.   
Eins nach dem anderen.  
Dann gehe ins Bett.

Und Nachts schrecke ich auf.   
Mein Magen dreht sich um. 

Die Bettdecke ist muffig von der feuchten Luft. Es ist halb drei. Ich kann in der Dunkelheit meine Hand nicht vor meinen Augen sehen. Der Regen prasselt auf das Dach. Ein ausgewachsener Sturm zerrt an allem, was er in die Finger bekommt. Ich stelle mir vor, wie das Tor zum Gatter aus den Angeln gehoben wird. Wie die Pferde vom Unwetter aufgescheucht die Flucht ergreifen. Sie rennen den Weg entlang, direkt auf die Straße, wo sie von einem Lastwagen ergriffen werden. Das Fernlicht des LKWs lässt sie plötzlich erstarren, sie bleiben mitten auf der Straße stehen und starren in das näher kommende Licht. Der LKW wird von der Wucht umgerissen, überschlägt sich und stürzt die Böschung hinunter, zermalmt dort die Bäume und bleibt mit einem fiesen knirschen liegen. Die Führerkabine sieht aus wie ein zusammengeknülltes Blatt Papier. Und während die aufgebrachten Hunde von einem umstürzenden Baum erschlagen und einem umherirrenden Kampfhund zerfleischt werden, zerrt sich der Fahrer des LKW mit letzter Kraft durchs zerbrochene Fenster.
Und dass er sich dabei die Halsschlagader verletzt ist egal, weil er von den anderen Verletzungen eh gerade stirbt.   
Ich lasse mich zurück ins Kissen fallen, versuche zu schlafen.   
Ich schwitze,   
starre Löcher in die Decke.   
Ich schließe meine Augen.   
Durch die Löcher stürzt der Sturm, reißt mich mit.   
Ich ertrinke, schlafen kann ich nicht.

Am nächsten Morgen suche ich nach Sturmschäden.   
Finde nichts.  
Der 60 Liter Bottich läuft über.  
Der 50 Liter Bottich läuft über.  
Die Gießkanne gießt im Stand die Pfütze außen herum. In der Pfütze schwimmen Hundehaare.   
Die Gießkanne setzt Rost an.  
Ich nicht,  
Haut rostet nicht, oxidiert nicht, kann nur aufquellen. Nachdem ich den Pferden Wasser gegeben habe riechen meine Hände nach Rost und wenn ich den Unterboden der Kanne beim kippen anfasse, färbt sich meine Hand rostrot. Der Unterboden rostet am stärksten, wie bei meinem Auto. Auf dem Rückweg zum Haus fällt mir auf, dass eine Radkappe am Auto fehlt, hinten rechts. Ist mir bis jetzt nicht aufgefallen. 

Es hört nicht auf zu regnen. Das Vordach des Hauses wird undicht. An einigen Stellen bilden sich Tropfen. Dort stelle ich Schüsseln auf den Boden. Ich schiebe die Bottiche so unter das Dach, dass sie das Regenwasser besser auffangen. Jeder Gang zu den Pferden leert die Bottiche teilweise. Der Regen füllt sie. Es wird dunkel.

Nachts schrecke ich wieder auf. Mein Schlafanzug klebt vom Schweiß getränkt auf der Haut. Draußen schweigt der Sturm für eine Weile. In meinem Kopf toben die Gedanken. Tiefdruckgebiete zersetzen den Frieden auf meinem Hochplateau, machen mürbe. Ich versuche meine Gedanken einzufangen, versuche sie weg zu sperren oder zu verschütten. Die Nacht lässt mich allein in meinem Kampf. Hier lenkt nichts ab, nichts steht mir zur Seite, zerstreut. Ich habe mich hier alleingelassen. Und selbst wenn ich nichts denke, mein inneres Auge kann den Blick nicht abwenden und ein Bild brennt mir in den Augen. Eine Radkappe, eine Radkappe die am Straßenrand liegt.  
Die Gewissheit, nie wieder einschlafen zu können quält mich wach durch die Nacht.

Der nächste Tag hat sich schon mit Wasser vollgesogen, beginnt damit um halb sechs. Meine Schlaflosigkeit endet mit der Kapitulation der Nacht. Morgengrauen. Die Sonne schiebt das Dunkel müde und erschöpft zur Seite. Ein Pyrrhussieg der nur ein paar Stunden halten wird, bevor das Schwarz durch alle Ritzen zurückgekrochen kommt. Die Schüsseln die ich am Vortag aufgestellt hatte liegen umgekippt auf der Terrasse. Unter dem Vordach vereinen sich Pfützen zu Teichen und fließen in den See auf der Terrasse. Die Hunde trinken vom Boden. Mit einem Schieber dessen Gummilippe nur noch lose am Metallgestell baumelt treibe ich meine Seenplatte in den Vorgarten. Das Gestell kratzt über die Steinfließen, die Gummilippe zuckt schlabbernd hinterher. Der Wasserkessel pfeift.

Der heiße Tee trocknet meine Gedanken.  
Der Nebel hüllt sie ein. Er trieft aus dem Tal über die Hügel hinein in meine Augen. Ist er nicht drin, ist er draußen.   
Die Pferde müssen gegossen werden,   
mein Denken ertränkt.   
Hinter mir wird herumgeschnüffelt. Die Hunde weichen nicht von meiner Seite. Auch wenn ich weiß, dass die Traurigkeit in ihren Augen nicht in ihnen liegt, sondern in meinem Blick, werde ich von diesen dunklen Flecken gefangen genommen. Sie wollen wissen, dass es gut ist was sie tun.  
Ist schon gut.  
Ist schon gut.  
Hecheln.  
An meinen Händen kleben Hundehaare. Die Pferde betteln. Das Fressen macht sie fromm. Nur noch zwölf Stunden bis ich nicht schlafen kann.

Ich suche den Weg zum Haus nach der fehlenden Radkappe ab. Vielleicht hab ich sie doch hier verloren. Jedes Schlagloch kann sie abgerissen haben. Ich muss sie einfach finden. Der Weg sieht aus wie eine Mondoberfläche nach dem Monsun. Ich lasse kein Loch aus, grabe sie mit meinen bloßen Händen tiefer. Unter meine Fingernägel schieben sich Steinchen hinein bis aufs Blut. Jeder Krater läuft über. Hier ist Schmutz, Schlamm, hier sind Felsen und Schlaglöcher.   
Hier ist keine Radkappe.   
Ich gehe zurück zum Wagen.    
Die fehlende Radkappe wird sie zu mir führen. Sie ist ein Indiz, sie ist eine Spur. Die ungeschützte Felge hinten links ist nicht verrostet. Oberhalb des rechten Hinterreifens, am Kotflügel ist ein Delle, handgroß. Die Delle ist nach vorne weich und fließend, nach hinten endet sie mit einem Knick, an dem der Lack abplatzt. Es ist nicht die einzige Delle am Wagen. Vom Steinschlag, vom Parken; Dellen übersähen den Kleinbus. Nur diese ist noch nicht vom Rost garniert. Ich fahre leicht mit dem Finger über den Knick. Ich trage meine Stigmata nicht am Körper. 

Zurück am Haus stelle ich die Schüsseln wieder auf. Die Terrasse, egal ob überdacht oder nicht wird von einem dünnen Wasserfilm überzogen. Mit dem Schieber ziehe ich Furchen ins Nass, die sich schnell wieder schließen wie das rote Meer über den Häuptern der Ägypter. Von überall drängt es nach, sickert durch die Poren der Welt, überzieht mein Hab und Gut, trennt mich ab und lässt mich einsam wie in einem Goldfischglas außen vor. Ich kann mein Leben zwar sehen, berühren kann ich es nicht mehr.  

Wider erwarten bin ich am Abend eingeschlafen, die Müdigkeit hat mein Bewusstsein niedergerissen. Mein Kiefer spannt sich an. Ich möchte meine Zähne aufeinander pressen bis es knirscht, splittert und die scharfen Zacken der Reste die noch übrig sind, sich ins rote Zahnfleisch treiben und ich mich verschlucke, am Blut, den Splittern, wo einmal meine Zähne waren. Nur noch Ruinen. Ruinen die mich umgeben, wie Träume denen ich nicht mehr entfliehen kann. Der Boden, er gibt nach, mein Haus erwacht zum Leben. Ein Erdrutsch kämpft das Fundament aus dem Boden, hebelt es aus und das Haus rutscht zu Tal. Gleitet wie ein Schlitten berstend zu Grunde. Reißt Bäume aus ihren Wurzeln, eine tiefe furchende Wunde in den Hang treibend. Bis es zur Ruhe kommt. Im Tal neben dem kleinen Bach, der durch den Regen zu einem angeberischen jungen Fluss geworden ist. Der Sturz hat mich aus dem Bett geworfen. Ich stehe auf und geh nach draußen. Die Tür geht leicht zu öffnen, als würde das Haus schon immer hier stehen. Ich betrachte es von außen. Stehe knöcheltief im Wasser. Es hat keinen Schaden genommen und duckt sich unter die dichten Büsche und Bäume die hier im feuchten Tal stehen. Hinter dem Haus steigt die Böschung steil an. Es dringt kaum Licht in diese Schlucht. Kein Wind findet seinen Weg in hierher. Der Regen hat aufgehört und die Sonne bricht durch die Wolken, das Flusswasser färbt sich rot und gerinnt zu meinen Füßen. Ich kann mich nicht mehr bewegen, versuche mich zu befreien, stürze, stoße gegen den Türstock meines Hauses. Auf meiner Stirn klafft ein Loch und aus der Wunde trieft langsam und erstickend Wasser über mein Gesicht. Vor mir steht eine Frau. Sie trägt einen langen Regenmantel aus Gummi, dunkelgrau. Die Kapuze tief im Gesicht. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, habe es noch nie gesehen, nur ihren Schatten, ihren Umriss, ihren leblosen Körper. Sie sieht mich an, sie steht direkt neben mir. Direkt vor meinen Augen. Ich muss sie nicht im Augenwinkel sehen. Ich brauche keine klare Sicht, um sie zu erkennen.  
Ich kann sie nicht übersehen.  
Sie steht direkt vor mir.   
Auch wenn sie es möchte,  
sie kann mir nicht helfen.

Angezählt aber nicht k.o. kämpft sich mein Bewusstsein zurück auf die Beine, kurz nach zwei. Ich sitze aufrecht in meinem Bett. Der Schweiß steht mir kalt auf der Stirn. Ein Moment, bevor er zerfließt, meinen Rücken hinunter und den Stoff meiner Wachträume mit Angst tränkt. Nie wieder schlafen können. Der Gedanke hetzt mich zurück in die Kissen, wälzt mich hin und her. Der Regen kratzt an den Fenstern, will herein, hält es draußen nicht mehr aus, hat nicht mehr genug Platz in der Welt.

Muss in mein Bett,   
mich ertränken,   
dass endlich Ruhe herrscht.

Ich sehe zum Himmel, verschlucke mich dabei. Der Wasserkessel pfeift auf das Wetter, ich tu es ihm gleich. Mit meiner Tasse Tee blicke ich über das Tal. Meine Terrasse, mein See. Das Wasser wird Teil von mir. Ich kann nicht alles verdrängen. Heute morgen, als die Lippe vom Schieber riss, die Kapitulation anstand, war ich kurz verzweifelt,   
bevor es abfiel,   
all die Last. Wieder sehe ich zum Himmel  
und trinke,   
trinke,   
trinke.

Trotzdem brauchen die Pferde Wasser. Ich tauche die Kanne in den großen Bottich und mache mich auf den ersten der drei Gänge. Die Hunde folgen mir. Sie sind unruhig, sehen mich von unten an. Ihren Augen entgeht die Traurigkeit, heute, sie sind voller Furcht. Am Gatter betteln die Pferde, ihr tägliches Scharren, das doch nichts bringt außer ihre Fütterung.   
Auf dem Rückweg, das Auto. Es steht da, unbewegt, seit ich es zum letzten mal benutzt hab. Ich war im Dorf, 30 Minuten von hier. Seit diesem Tag regnet es. Der Himmel öffnete sichmir als ich auf dem Weg nach Hause war. Die Straßen waren wie Bäche und die Scheibenwischer arme Schlucker, überfordert und schuld, schuld an allem. Man konnte nichts sehen, ich konnte nichts sehen. Ich habs versucht. Aber das Wasser war wie ein Film voller Lügen vor dem Schutz der Frontscheibe.   
Selten brauche ich den Kleinbus, nur wenn die Vorräte zu Neige gehen oder wenn ich neue Gasflaschen für den Herd brauche. Sonst steht er da. Die Reifen sinken mehr und mehr ein in das Gras, das nur noch Sumpf ist, Sturzbach, Matsch. Es sitzt fest im Griff der nassen Erde. Die Türen sind nicht verschlossen. Ich sehe durch das Seitenfenster und sehe meine Tasche, die ich anscheinend im Wagen vergessen habe. Sie liegt auf dem Beifahrersitz. In der Tasche ist mein Geldbeutel, mein Ausweis, mein Telefon. Ich gehe um das Auto herum, meine Gummistiefel schmatzen im Matsch. Der Boden will mich zurück. Das linke Vorderlicht hat einen Sprung durch den das Wasser in das Innere des Scheinwerfers sickert. Er ist schon halbvoll. Oder ist er halbleer?
Ein Sprung im linken Vorderlicht.  
Eine Delle über dem linken Radkasten.  
Eine fehlende Radabdeckkappe hinten links.  
Drei Gedächtnisstützen die ich einreißen möchte, auch wenn die Lügen über mich herein brechen würden, auch wenn ich darunter begraben wäre, ich wäre wenigstens unsichtbar.  
Wenn ich mich nur vor mir verstecken könnte.  
Wenn ich mich nur nicht erinnern könnte.  
Wenn ich vergessen könnte.  
Ich öffne die Tür, nehme meine Tasche mit meinen Sachen aus dem Auto und gehe zurück zum Haus. Der Akku meines Telefons ist längst leer. Hinter mir höre ich kein Winseln, kein Schnüffeln, nichts. Ich drehe mich um. Die Hunde sind mir nicht gefolgt. Sie sitzen noch immer bei den Pferden und trinken dort aus der Pferdetränke. Sie wissen, dass ich sie nicht brauche. Sie können mich nicht mehr beschützen.

Auf der Terrasse sammle ich die von den Hunden umgeschmissenen Schüsseln ein. Überall im Wasser sind Hundehaare. Wenn das Wasser wie ein Film über mir liegt, dann ist es ein alter Film. Restaurierungswürdig. Ein alter Film, brüchiges Zelluloid, übersät mit Kratzern. Die Kratzer sind die Hundehaare, die in jeder Pfütze schwimmen und an den Gegenständen kleben wie das schlechte Gewissen, dass den Magen zerdrückt, aber der Erinnerung nicht Herr wird. Wirres Zeug malen die Haare ins Nass. Ich beuge mich nach unten, als könnte ich in den zufälligen Kritzeleien meine Zukunft lesen.   
Aber was da ist, ist nicht mehr, als es ist.   
Nichts.   
Nur Schmutz, vom Regen beschützt.

Ich gehe zurück ins Haus, lege mich ins Bett. Es ist kurz nach Mittag. Es ist nichts zu tun. Sollen die Viecher die Luft trinken wie ich. Es wird schon zum verschlucken reichen. Ohne zu schlafen falle ich hinab, in ein Meer aus Träumen, dass sich längst nicht mehr an mich erinnert. Das Bedürfnis zu schlafen hat mich verlassen. Die Wände, die Bilder und die Bücher die neben meinem Bett auf dem Nachttisch liegen sind nicht von mir abhängig. Die feuchte Luft, das ständige Rauschen von draußen ist die Konstante. Mein Dasein, der Atem und das Beben in mir ist nur zickiges aufbegehren. Die letzten Tage sind doch nur ein Schwindel, den ich selbst nicht mehr glauben kann. Der Regen hat mich nicht verlassen, er hat zu mir gesprochen, gebetet, gepredigt.   
Viel zu laut zum weghören.   
Viel zu laut zum vergessen.   
Viel zu laut zum leugnen. 

Langsam wird es dunkel. Ich raffe mich auf und gehe ein letztes mal zum Ofen, nehme etwas trockenes Holz, Späne, Zweige und den Anzünder. Ich baue eine kleine Pyramide. Lege Feuer und atme etwas von dem Rauch ein bevor ich die Ofentür schließe. Das Fenster des Ofens ist dicht verrußt. Der Schein brennenden Feuers glüht nur schwach durch das geschwärzte Glas. Von dem kleinen gusseisernen Körper aus kriecht die Wärme langsam durchs Zimmer, breitet sich aus und legt sich mutig mit der Feuchtigkeit an. Ich gehe zurück ins Bett, ziehe die Decke bis ans Kinn und konzentriere mich auf die Wärme die von den Füßen aus Besitz von mir ergreift. Die Last von meinem Brustkorb wird für einen Moment zu Luft und ich atme tief ein. Ich bin müde. Stück für Stück greift sich das Feuer einen Scheit nach dem anderen. Es wird wärmer und wärmer. Aus der wohligen Wärme wird drückende Hitze. Die Luft ist getränkt vom Rauch. Mir ist heiß und ich beginne zu schwitzen. Wie in einem Gefängnis stecke ich unter der Decke in meiner Zelle. Noch steht die Tür offen. Aber was will ich draußen? 

Am nächsten Morgen klopft es an der Tür. Langsam schäle ich mich aus meinem Nachtlager, ziehe mich an. Die Stimmen von draußen werden lauter, bestimmter. Ich will sie nicht beschwichtigen. Ich will sie nur hören, sie nach mir greifen sehen. Ich mache mich fertig für meine Reise, den Regenmantel lasse ich hier. Ich denke, bald wird mich das Wasser nicht mehr verfolgen. 
Vor der Tür steht ein Polizist. Ich sehe an ihm vorbei zu seinem Kollegen. Der steht weiter hinten an meinem Wagen, geht herum, bückt sich, inspiziert. Der vor mir redet auf mich ein, mein Blick reißt sich von meinem Wagen los und taumelt lose zurück zu seinem ernsten Gesicht. Ich hab kein Wort verstanden. Brauche auch nicht zu verstehen und nicke nur kurz. Ich werde keine Schwierigkeiten machen.   
Ich versuche zu lächeln.   
Er versucht es nicht zu erwidern.

Ich schließe die Tür hinter mir ab. Vor mir sitzen die Hunde, sehen mich an, ganz still sind sie. Meine Füße bleiben ganz trocken, als ich zum Wagen der Polizisten gehe. Die Gummistiefel halten mich auf Distanz zum Wasser, zur Erinnerung an einen faden Versuch. Der Wagen steht direkt hinter meinem. Die Hunde bleiben am Haus zurück. Der Polizist folgt dicht hinter mir. Der zweite geht ein paar Schritte vor mir. Er öffnet mir die Tür und ich setze mich auf die Rückbank. Die beiden steigen vorne ein. Dumpf höre ich sie sprechen. Ich bin müde. Todmüde. Sie fahren los.

Meinen Kopf lehne ich an die kalte Scheibe. Der Fahrer versucht, den tiefen Pfützen die den Weg zerteilen auszuweichen. Mein Blick saugt sie auf und mir ist, als würden mir in ihnen Kritzeleien lebe wohl sagen. Hundehaare.  Sie sind überall, sie bleiben an den Händen kleben, wie die Schuld in ihren klagenden Augen. Sie sind doch nur Spiegelbilder.

Wir biegen ab auf die geteerte Straße, verlassen den unbefestigten Weg zu meinem Haus. Ich schließe meine Augen. Ich trage die Schuld. Ich hab es getan. Ich weiß nicht, ob es wirklich meine Schuld war. Sie ist mir nicht aufgefallen, sie stand von einer Mauer verdeckt, hinter einer Kurve und wollte wahrscheinlich über die Straße.  
Ist sie auf die Straße getreten?   
Ich weiß es nicht. Ich hätte stehen bleiben müssen. Ich hab sie liegen sehen. 

Der Polizist auf dem Beifahrersitz dreht sich zu mir um, sein Blick fängt meine Augen ein. Er sieht hinein, er kennt die Fakten. Es war ein Unfall.